Mein erster Kulturschock. Das Kölner Metronom war eine eigene kleine Welt.
Karneval mochte ich lange Zeit überhaupt nicht. Als Kind war es natürlich das Größte gewesen, „zum Zug zu gehen“. Später kam die Ernüchterung. Zuerst mochte ich die öffentlichen Aufrufe zum Frohsinn nicht mehr, dann den bürokratischen Humor, schließlich stießen mich die Schnapsleichen in den Düsseldorfer Straßen ab, die ich als Junge gar nicht gesehen hatte. Zu einer Zeit wohlgemerkt, als ich selber mit Freunden gerne mal einen hob, mir einen auf die Lampe goß, durch die Straßen tigerte, gierig war nach neuen Bekanntschaften, neuen Geschichten, neuen Erlebnissen. Karneval war entgegen seiner öffentlichen Darstellung konservativ und phantasielos, die Leute: dumpf. So sah ich das. Nicht ganz zu Unrecht, meine ich. Mehr noch: Karneval verdarb mir die Laune.
Und so entschloß ich mich an einem Rosenmontag, irgendwann Anfang der neunziger Jahre, eine Fahrradtour von Düsseldorf nach Köln zu unternehmen. Denn in Köln wohnte und studierte ich bereits. Das Wetter war gut, die Laune prima, die Strecke über Monheim hielt an Schönheit, was sie versprochen hatte. Ich kam recht früh in Köln an, am Hauptbahnhof, und durfte noch die Aufräumarbeiten nach dem Rosenmontagszug beobachten, schüttelte mich kurz und fuhr weiter Richtung Barbarossaplatz. Denn gleich dort hatte meine damalige Freundin ihr Domizil. Da wir erst gegen 21 Uhr verabredet waren, stellte ich mein Fahrrad ab und musste mich nun, jung und deswegen schnell ein Bündel Wut in Jeans, durch die alkoholisierten Horden drängen. Um Gottes Willen.
Eine Fluchtburg mußte her und zwar schnell. Durch schieres Entfliehen aus dem dicksten Pulk landete ich in der Weyerstrasse. Deutlich weniger Menschen, immer noch Karnevalsmusik. Ich glaube, in diesem Moment war es Panik (ja: Panik) vor der Musik (ja: vor der Musik), die mich ins Metronom trieb. Das Schild versprach NUR Jazzmusik. Keine Karnevalsmusik? Nichts wie rein. Innen wurde ich erstmal angeschaut als käme ich vom Mond. Und dann freundlich begrüßt. Dann begann ich zu Staunen. Niemand verkleidet! Am Rosenmontag! In Köln! Am Ende gäbe es noch dunkles Bier, dachte ich, dann trinke ich ein dunkles Bier, dachte ich. Es gab dunkles Bier und zwar Kilkennys oder Guinness. Ich bestellte ein Kilkennys und plazierte mich nahe der Tür an das seitliche Ende der Theke. Von dort konnte ich den Laden gut überblicken.
Damals war das Metronom eine kleine, relativ enge Angelegenheit, die sich in zwei Kompartimente teilt. Vorne hatten wir die ausladende Theke, die fast immer von der Stammkundschaft im Beschlag genommen wird. Gegegnüber der Theke gab es noch vorsprunghafte Bänk. Richtig bequem wurde es dort den ganzen Abend nicht, es ließ sich aber aushalten. Besser war es hinten. Dort standen drei Tische, an denen man es sich für einige Stunden gemütlich machen konnte. An Bier gab es noch Kölsch und Weizen, auch die Schnapskarte war recht gut sortiert, besonders beim Whisky („Guter Whisky schmeckt wie Rauch“ – Juten Tach, Herr Tucholsky). Für jemanden wie mich, der nur aushäusig und nur ab und zu einen kleinen Schnaps trank, eine gute Sache. Rechts daneben gibt es noch einige Stehplätze, sicher die schlechtesten Plätze in der kleinen Kneipe. Dort habe ich mich nie wirklich wohl gefühlt. An Speisen war man nur mit gemischten Nüssen und Nachos mit einer guten Salsa ausgestattet. Zum Tequila gibt es allerdings weder Zitrone und Salz noch Orange und Zimt. Das ist ein kleiner Minuspunkt. Die Preise waren nicht billig, aber durchaus noch im Rahmen. Nur Nichtraucher müsste man an dieser Stelle warnen. Im Metronom wurde gepafft, was das Zeug hält. Wohl deswegen ist die fossile Rauhfaser, mit der die Kneipe tapeziert ist, bis heute so braun. An den Wänden finden sich Bilder von allerlei Jazzgrößen.
Das Prunkstück des Metronom aber war (und ist) die Plattensammlung, die hier allabendlich gespielt wird. Ihre Anzahl liegt sicher bei mehreren tausend. Meiner Einschätzung nach handelt es sich dabei überwiegend um Exponate aus dem Bereich des Modern Jazz, also der Musikrichtung, die man gemeinhin im Ohr hat, wenn man an Jazz denkt, stilistisch also größtenteils zwischen dem mit Charlie Parker und Dizzy Gillespie beginnenden Bebop und endend an der Schnittstelle von John Coltrane zu Ornette Coleman, dem Begründer des free jazz. Wenn man dem Jazz also nicht komplett abgeneigt ist, ist das alles sehr anhörbar. Für Fans gibt es einige Raritäten zu entdecken, über die an der Theke bereitwillig und kompetent Auskunft gegeben wird. Ich habe meine CD-Sammlung dadurch schon um Art Farmer und Kenny Dorham erweitern können. Und wer kennt diese beiden Trompeter sonst schon, außer den Experten?
Aus einer freundlichen Stammkundschaft, aus einer fast immer guten Stimmung, der Möglichkeit auch einmal in andere Gespräche einzufädeln, der sehr annehmbaren Jazzmusik und der genau richtigen Enge entstand eine schöne, fast zeitlose Atmosphäre, die mich fast jeden Monat für ein paar Stunden ins „Metronom“ trieb und immer war ich etwas glücklicher, als ich wieder herauskam. Als Fluchtburg vor dem Karneval brauchte ich das Metronom schon nach ein paar Jahren nicht mehr, denn der Kölner Karneval bekan in nen neunziger Jahren viele Facetten. Viele Menschen gestalteten dieses Fest nach eigenem Gusto. Ein paar Jahre habe ich mitgefeiert, bis ich auch am alternativen Karneval das Interesse verlor. Ich erinnere mich aber gerne.
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