Das Private und das Geschäftliche. Horst Schroth besichtigt aus der Sicht eines Mittfünfzigers das Leben in der ausgehenden Schröder-Ära.

Nikolaus Niehoff, genannt Nick, Mitte 50, ist bereits mit einiger Lebenserfahrung ausgestattet und Besitzer einer Agentur für Immobilien, in der nicht nur das Geschäftliche, sondern auch sein ganzes Privatleben jeden Tag über seinen Schreibtisch wandert. Und heute ist es wieder besonders schlimm und besonders kompliziert. Sein Neffe Jonas ist Logistikfachmann bei einer Spedition und in dieser Funktion nach Kabul geschickt worden. Dort hatte er bereits als Zeitsoldat gedient und trifft eine einheimische Frau wieder, in die er sich verliebt. Leider darf eine moslemische Frau keinen christlichen Mann heiraten. Jonas macht ihr in Afghanistan einen Heiratsantrag -zum Haus seines künftigen Schwiegervaters wird er von seinen ehemaligen Bundeswehrkumpels im Panzer gebracht- und möchte nun zum Islam konvertieren. Er fragt Nick um Rat. Renate, seine Mutter und Nicks Schwester, immer noch in Sachen Selbstfindung unterwegs („Renate, irgendwann wirst Du Dich selbst finden, es wird ne Riesenenttäuschung werden!“), macht Nick deswegen eine Szene. Frankie, Nicks Anwalt und bester Freund und Fan von Peter Maffay, möchte eine Frau heiraten, auf die der geschiedenen Nick ebenfalls ein Auge geworfen hat. Nick soll Frankie bei der Formulierung des Heiratsantrags helfen. Doch damit nicht genug.

Obwohl er schon zur Vertragsunterzeichnung in Hamburg weilt, sagt Nicks Geschäftspartner Matthew P. McNamara, genannt Matt, die Investition für ein geplantes Immobilienobjekt plötzlich per Mail ab. Warum? Seine gutaussehende Assistentin Beverly („Wenn sie Beverly sehen würden: da kommt jeder Mann auf sehr monothematische Gedanken“) sei von Nicks Juniorpartner Juan-Carlos („Ein Superverkäufer. Der verkauft dem Papst sogar ein Doppelbett.“) sexuell belästigt worden. Matt müsse aus dem Projekt aussteigen, um keine Klage in zweistelliger Millionenhöhe von Beverly zu riskieren. Nick erwirkt 24 Stunden Aufschub, um Juan-Carlos zur Rede zu stellen und die Sache wieder zu bereinigen. Juan-Carlos streitet die sexuelle Belästigung ab. Die Angelegenheit erweist sich als komplizierter, denn es läuft etwas zwischen Juan Carlos und Beverly. Jetzt muß Nick handeln, um den für ihn lebenswichtigen Auftrag zu retten.

Das ist, kurz skizziert, die Geschichte, die Horst Schroth in seinem kabarettistischen Theaterstück „Nur die Grösse zählt“ zu erzählen hat. Nikolaus Niehoff, der Erzähler und Protagonist, wird, wie auch alle andern Figuren, von Schroth selbst gespielt. Alle wurden von Schroth glücklicherweise alle mit kleinen sprachlichen Eigenheiten ausgestattet, so daß sie auch auf CD mühelos auseinanderzuhalten sind. Und Schroth erweist sich als ausgesprochen befähigter Sprecher, der von der feinen Ironie bis zum rüdesten Hafenjargon jeden Tonfall sorgfältig nuancieren oder eben schlicht brüllen kann. Mir vorliegend ist eine 76 Minuten umfassende auf CD gebannte Aufzeichnung aus dem – übrigens von Dieter Hallervorden geführten – Berliner Kleinkunsttheater „Die Wühlmäuse“. Die Aufzeichnung fand am 30. September und 1. Oktober 2005 statt.

Schroths Stimme profitiert von seiner offenkundig vorhandenen Schauspielerfahrung, stilistisch und inhaltlich ist er am Kabarett geschult. Seine überragende Stärke besteht darin, zwischenmenschliche Beziehungen und ihre Stereotypen, speziell Geschlechterbeziehungen aufs Korn zu nehmen und ebenso amüsant wie treffsicher zu porträtieren. Kein Wunder, denn sie sind das Brennglas, durch das er die bundesdeutsche Wirklichkeit betrachtet. Die Unfähigkeit von Männern, über Niederlagen zu sprechen, setzt Schroth zum Beispiel so in Szene: Als Nick Juan-Carlos zur Rede stellt, streitet der vehement ab, Beverly sexuell belästigt zu haben. Nick kommentiert: „Wenn Männer penetrant abstreiten, dass da etwas gewesen ist, dann können sie darauf wetten: da war was. Aber Juan Carlos hatte eine Niederlage erlitten (…) und konnte die Niederlage nicht zugeben (…) wir [Männer] können einfach nicht über Niederlagen sprechen, deswegen sagt Schröder `Ich bin Kanzler, ich bin Kanzler, ich bin Kanzler`. (Pause) Er kann es nicht zugeben!“ Glücklicherweise kommen auch die Frauen bei Schroth nicht immer gut, schon gar nicht niedlich-liebenswert weg (und das ist mal ein Fortschritt) „Frauen können viel leichter über Niederlagen sprechen, denn dann ist auf jeden Fall der Mann schuld, dann ist der wieder das Schwein und so wird aus der Niederlage einer Frau ganz schnell die Niederlage eines Mannes.“

„Nur die Grösse zählt“ ist eine eigenwillige Melange aus viel Comedy im Kabarett. Schroth beweist nicht nur eine beachtliche Beobachtungsgabe, er weiß sie auch über die kompletten 76 Minuten professionell, aber mehr der Unterhaltung als der Kritik verpflichtet, umzusetzen. Auf den politischen Biss, den Programme von zum Beispiel Volker Pispers oder Georg Schramm auszeichnete, wartet man jedoch oder glücklicherweise, ganz nach Gusto, bei dieser Art Kabarett vergeblich. Denn Schroth als gelernter Ökonom beleuchtet bundesdeutsche Verhältnisse aus einer anderen Perspektive. Wer zum Beispiel miterleben will, wie die stets vorhandene deutsche Kritik der Vereinigten Staaten (im Kabarett) mal gegen den Strich gebürstet wird, dem kann ich „Nur die Grösse zählt“ als unterhaltsames Stück Kleinkunst mit gutem Gewissen empfehlen.

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