Kleine Frage
"Schon vor der Pandemie gab es Tage, an denen ich mir sicher war, den Knall überhört zu haben. Den Knall, den man hört, wenn ein Band reißt, das alles zusammenhält." (Julia Friedrich)
Eigentlich hatte ich ja einen längeren Artikel geschrieben, aber genau genommen habe ich nur eine kleine Frage: warum ist die Verständigung so schwierig?
Die Aktivisten der "Letzten Generation" machen einen richtigen Punkt. Denn wir sind Tiere, wenn auch soziale Tiere, die auf das fragile biologische Gleichgewicht angewiesen sind, welches uns der Planet zur Verfügung stellt. Genauer gesagt: wir haben uns genau im Rahmen dieses Gleichgewichts entwickelt und in die Bedingungen dieses Gleichgewichts hinein. Mittels unserer Ökonomie sind wir jetzt kurz davor, ohne es zu bemerken, dieses Gleichgewicht aus den Angeln zu heben. Unsere Sinnesorgane sind auf diese Art von Veränderungen nicht ausgelegt. Wir fühlen nicht global.
Am Morgen ins Auto steigen, die nächste Generation zur Schule bringen, dann weiter ins Büro, um die Miete für den nächsten Monat zu verdienen...das ist Alltag. Tagesgeschäft. Aber diese scheinbaren Selbstverständlichkeiten unseres Alltags ziehen, glaubt man jedenfalls der Wissenschaft, die Schneise der Zerstörung wieder etwas weiter.Den Mechanimus des Klimawandels kennen wir schon seit dem 19. Jahrhundert. Die Erderwärmung ist ein gemessener Fakt. Den Schaden tragen wir alle. Alles bekannt.
Es gibt einen Konflikt zwischen der Agenda, die uns unsere Ökonomie diktiert und der Tagesordnung, die wir uns selbst gegeben haben, um unseren Planeten zu schützen.Auch wenn es im hektischen Alltag ärgerlich ist: Den Verkehr symbolisch anzuhalten, um darauf aufmerksam zu machen, ist ein einleuchternder Gedanke. Er macht den unsichtbaren Riss, den Zielkonflikt sichtbar, der unseren Alltag durchzieht. Der Protest der "Letzten Generation" hat Hirn.
Warum ist die Verständigung so schwierig? Natürlich spüre auch ich die Empathielosigkeit (und manchmal auch den Hochmut), die im Protest der jungen Leute liegt. Auch mein Alltag ist seit Jahrzehnten getaktet.Störungen müssen oft mit nervtötenden Kompentionsmassnahmen ausgeglichen werden. In schlimmeren Fällen steht ein Gespräch mit dem verständnislosen Vorgesetzten an. Vorgesetzte sind oft verständnislos. Kein Wunder: auch sie haben Zeitdruck. Ich kann den Ärger eines Autofahrers also nachvollziehen.Ein Auto habe ich zwar nicht. Aber alltäglichen Ärger kenne ich gut. Im Genervtsein habe ich schon lange den schwarzen Gürtel. Grund genug gibt es ja, auch ohne "Letzte Generation".
Warum ist die Verständigung so schwierig? Die protestierende "Letzte Generation" ist gerade erst erwachsen. Sie müsste noch ein Gefühl für für den Druck haben, mit dem ihre Eltern jahrzehntelang gezwungenermassen ihren Alltag organisiert haben. Ihr wurdet wöchentlich zum Musikunterricht oder zum Sport oder sonstwohin gekarrt. So lange ist das noch gar nicht her. Erinnert ihr Euch nicht mehr?
Ja, ich kann die Autofahrer verstehen. Der Alltag fordert, Unterbrechungen nerven, Termine drücken. Aber es gibt Auszeiten, in denen wir größere Zusammenhänge in den Blick nehmen. Es geht um mehr als den Klimawandel. Soll mir keiner erzählen, er wüsste nicht, dass wir gerade dabei sind, die biologischen Netze zerstören, in denen wir leben. Abstraktionsfähig genug, um das zu verstehen, sind alle . Die Spatzen pfeifen es sowieso schon lange von allen Dächern. Ein fordernder Alltag hat manchmal den Charakter eines Naturgesetz. Aber er ist kein Naturgesetz.
Der Boden ist also bereitet. Warum also ist die Verständigung so schwierig? Wir müssen nur reden. Weiss es jemand? Kleine Frage.
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