Die Pop und der Medien. Dieter Zimmermann sichtete in seinem Dokumentarfilm "Was geht" bereits 2001 die Karriere der Fantastischen 4.
Vor der Kamera sind sie entspannt, reißen Witze, produzieren sich. Der Fotograf muß nur noch draufhalten. Die Fantastischen Vier, Smudo, Thomas D., Michi Beck und And.Y haben einen Fototermin. Warum die Atmosphäre entspannt ist, zeigen eingesprengte Schnipsel alter Fototermine: alles schon erlebt, Routine. Daneben die ersten Ausschnitte von Konzerten, Kommentare von begeisterten Fans und Diskussionen in der Garderobe über den Auftritt. Welcome! - im Kerngeschäft von erfolgsverwöhnten Popstars.
Schon in diese ersten Passagen zieht Regisseur Dieter Zimmermann eine Reflexionsebene ein, als er Thomas D. erzählen läßt, wie die damaligen Wohnzimmerhobbyrapper ohne Geld, ohne Ausrüstung, ohne höhere Ziele und im Falle von Thomas D. sogar eher skeptisch ihr erstes Konzert gegeben haben. Überhaupt ist die Dokumentation reich an ungewohnten Tönen. Thomas D. selbst zeichnet im Interview ein anderes Bild davon, Popstar zu sein, als es die Selbstpräsentation vor den Fans nahelegt. "Was bei mir hängen bleibt sind (...) nicht die Konzerte" (...) [sondern] "die Isolation, die Trennung von meiner Welt und der Außenwelt.(...) Wenn ich über 10 Jahre zurückblicke (...) bleibt so ein Gefühl von: `Na hier versteht mich sowieso keiner´ (...) [denn] ich wiederhole mich, ich beantworte Fanfragen, (...) es kommt zu keinem wirklichen Austausch (...). Das Leben ist einseitiger geworden." Eine Erfolgsgeschichte mit melancholischen Untertönen.
Wie also sind aus vier Kleinbürgerkindern vier weltgewandte Popstars geworden? "Was geht - Die Fantastischen 4" ist keine filmische Biographie (wie zum Beispiel: "Ray"), sondern präsentiert ein Mosaik aus szenischen Schnipseln, dass oberflächlich betrachtet für einen Musiksender produziert sein könnte, schnell, oberflächlich, werbend. Doch hinterrücks wird der Musikvermarktungsmechanismus aufs Korn genommen und mit Bildern und Zitaten kontrastiert, die der Abbildung einer Erfolgsgeschichte wie sie damals üblich war, eben á la MTV, eine zweite Ebene aufzwingen.
Zimmermann beschäftigt die Entstehung des internen Gefüge der Vier, er deckt die Funktionen jedes einzelnen auf, spürt den Vernarbungen, den feinen Rissen im Bandgefüge nach, ohne daß es einen Erzähler gäbe, der die Bilder und Zitate kommentieren, schön- oder plattreden würde. (Und kontrastiert damit die branchenübliche Mixtur aus Jubelberichten, Legendenbildung, kalkulierten Kleinskandalen, der Ausschlachtung oder Inszenierung großer emotionaler Krisen, meist folgenden „Wiederauferstehungen“...) Wenn zum Beispiel der extrovertierte Vielredner Smudo über den in sich gekehrten And.Y spricht, dann drängt sich mir das Gefühl zwischenmenschlicher Fremdheit auf: „Von uns vieren ist Andy wohl der verschrobenste, verschroben, das meine ich jetzt gar nicht negativ, er ist (...) in der Pflege seiner sozialen Kontakte (...) sehr eigenbrötlerisch, (...) und die Rolle in der Band entspricht auch voll seinem Charakter (...) er sitzt vor seinen Musikinstrumenten, vor seinen Gerätschaften und bastelt, oft die ganzen Nächte hindurch, an den Sounds, die wir später benutzen", Gott sei Dank, denn: „das ist eine sehr sehr sehr gute Qualität, die er da hat, denn diese Form von Wahnsinn bringen wir anderen nicht mit."
Wie wichtig Andy für die Band ist, wie präzise er sich selbst im Bandgefüge verortet, dokumentiert seine eigene, gleich dahinter geschnittene Aussage: "Natürlich muß ich sehen (...) dass ich die Jungs gut feature, denn Rap lebt davon, dass die Personen, die im Vordergrund stehen, dass man die klar emotional wahrnehmen kann (…)" Auf diese Weise, so wirkt es auf mich, schaffen es sehr unterschiedliche und gegensätzliche Charaktere ihre Stärken zu einem produktiven Ganzen zu verknüpfen. Und ist auch notwendig, wenn man In der Auseinandersetzung mit dem Raubtier Popgeschäft seine künstlerische Integrität behalten und dennoch Popstar bleiben will.
Die Dokumentation enthält uns nicht die Bilder der verunsicherten jungen Männern beim Beantworten dreister Journalistenfragen vor „Und ihr macht jetzt richtig Geld, oder was?" (zu Michi Beck) "Du, du siehst so wahnsinnig jung aus. Wie alt bis Du denn eigentlich?" - eine Fernsehjournalistin des ZDF. Denn nach dem Durchbruch mit dem longplayer „4 gewinnt" entspinnt sich ein "zweijähriger Medienwahnsinn" (ein Manager der Band) der die Vier zu "bunten Medienspinnern" (Thomas D.) werden läßt. Zimmermann verzichtet darauf, den kleinteiligen Bewältigungsprozeß chronologisch nachzuzeichnen, aber in den Diskussionen in der Band, ihrem ganzen Verhalten und ihrer Professionalität im Umgang mit Medien, Fans und nicht zuletzt sich selbst bleibt er stets spürbar, präsent. Und deswegen scheint es mir logische Konsequenz des Bewältigungsdrucks und notwendige Bedingung für die Weiterentwicklung der Band zu sein, dass die Bandmitglieder räumlich getrennt sind, in anderen Städten leben. Dort pflegt mittlerweile jeder sein eigenes privates und künstlerisches Biotop, dass er in die gemeinsame Arbeit einbringen kann.
Michi Beck bezeichnet den Club als Quelle seiner Inspiration. Auch in seiner Schilderung der räumlichen Trennung der Vier wird deutlich, dass sich eine Verschiebung im Verhältnis der Vier untereinander vollzogen hat: "Am Allerwichtigsten ist die Toleranz zu sagen, mach doch Dein Ding, zieh doch nach Köln oder zieh doch nach Hamburg, mach doch so ne Platte (...) mit Thomas lauf ich musikalisch fast [in gegensätzliche Richtungen] - aber Thomas ist für mich unglaublich wichtig und superinspirierend."
Mit der CD "Lauschgift" hatten sie sich künstlerisch "rehabilitiert" (Thomas D.), jetzt - die Dokumentation ist 2001 entstanden- sind sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, haben die Auseinandersetzung mit dem Popgeschäft bestanden, sie sogar in ihren Songs gebannt ("Populär"), sind Popstar geblieben und haben, mitten im hektischen Tagesgeschäft, gleichzeitig eine künstlerische Entwicklung durchschritten. Nun scheinen sie, mittlerweile über dreißig, bereits in die beginnende Dämmerung ihrer Karriere zu blicken.Irgendwann sind sie zu alt, um noch glaubwürdiger Teil einer Jugendkultur zu sein.
"Was geht" besticht durch seine dichte Atmosphäre ebenso wie durch seine Methodik für die Band relevante Themen gezielt anzureißen, unter einem anderen Aspekt weiterzuführen, bis ein Gesamtbild entsteht, welches die Entwicklung der Band erahnen läßt. Mehr noch: in seinen besten Momenten ist „Was geht“ eine Reflexion über Bedingungen, Konstanten und Zyklus einer Popkarriere in den neunziger Jahren. Das ist eine Menge. Für mich – kein ausdrücklicher Fan der Fantastischen Vier – war der Film ein Gewinn. Bei Fans jedoch bin ich skeptisch: wer die Band bereits kennt und nur nach neuen Fakten sucht, wird vermutlich enttäuscht sein.
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