Freiheit durchhalten. "Der Club der toten Dichter" wirft einen sentimentalen Blick zurück.
O Captain! my Captain! our fearful trip is done
The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won;
The port is near, the bells I hear, the people all exulting,
While follow eyes the steady keel, the vessel grim and daring:
But O heart! heart! heart!
O the bleeding drops of red,
Where on the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.
O Captain! my Captain! rise up and hear the bells;
Rise up—for you the flag is flung—for you the bugle trills:
For you bouquets and ribbon’d wreaths—for you the shores a-crowding:
For you they call, the swaying mass, their eager faces turning;
Here Captain! dear father!
This arm beneath your head;
It is some dream that on the deck,
You’ve fallen cold and dead.
My Captain does not answer, his lips are pale and still;
My father does not feel my arm, he has no pulse nor will;
The ship is anchor’d safe and sound, its voyage closed and done;
From fearful trip, the victor ship, comes in with object won;
Exult, O shores, and ring, O bells!
But I, with mournful tread,
Walk the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.
(Walt Whitman)
Eine Naturkulturlandschaft wie in Stein gemeißelt.Es sieht alles nach Natur aus, aber in diesem riesigen Garten hat der Mensch das Sagen. Mittendrin, hineingeklotzt, als stünde es schon ewig dort, das überwältigend wirkende Eliteinternat Welton. Besucht wird es nur von Söhnen, deren Eltern es sich leisten können. Eine Festung.
Wir werden Zeuge der Begrüßungsansprache des Direktors zum neuen Schuljahr: 1956. Die Schule hat klar definierte Ziele. Den Schülern wird eine umfassende Ausbildung versprochen, auf deren Basis sie eine Eliteuniversität werden besuchen können, deren Abschluß Ihnen eine erfolgreiche Karriere garantiert. Das Gelingen bewirke ein einfacher Wertekanon: Tradition, Ehre, Disziplin, Leistung. Zeitlosigkeit macht sich breit. Schaut man das Gesicht des Direktors, dann ahnt man, daß man hier viele Facetten von Unerbittlichkeit kennen lernen wird. Der neue Englischlehrer wird vorgestellt: John Keating.
Die Erwartungen werden nicht enttäuscht. Der Unterricht ist eine langweilige Lernmühle. Der umfangreiche Stoff kann nur bewältigt werden, weil die Schüler sich nach dem Unterricht in Lerngruppen organisieren. Knox Overstreet, Charles Dalton (Gale Hansen), Neill Perry (Robert Sean Leonhard), Todd Andersen (Ethan Hawke), Stephen Meeks, Gerard Pitts, Richard Cameron sind zwar erst siebzehn, haben aber nur noch wenig Flausen im Kopf, denn Ihre Zukunft scheint vorbestimmt. Die daran geknüpften Erwartungen haben die Schüler längst akzeptiert, ohne je etwas anderes kennen gelernt zu haben. Nur im stillen Kämmerlein, wenn sie unter sich sind, regt sich noch ein bißchen Widerspruchsgeist gegen "Höllten", ein Ventil für die angestauten Frustrationen angesichts der täglichen Bücherwälzerei.
Pfeifend betritt Mr. Keating (Robin Williams) die Klasse, pfeifend verläßt er sie wieder - und führt die Schüler zu den Bildern vorhergehender Schülergenerationen. Er läßt Pitts folgende ketzerische Verse lesen:
"Pflückt Rosenknospen, solange es geht
die Zeit sehr schnell Euch enteilt
die gleiche Blume, die heute noch steht
ist morgen dem Tode geweiht."
Danach läßt er die Schüler vergangener Schülergenerationen ansehen. "Diese Jungs dienen jetzt den Narzissen als Dünger." Das ist nicht mißzuverstehen. Es gilt also, die eigene Lebenszeit zu nutzen, denn irgendwann ist es vorbei. Verblüfft müssen die Schüler ihre Individualität und ihre Endlichkeit zur Kenntnis nehmen. Für einen Augenblick erwachen sie aus ihrem metaphysischen Schlummer.
Zunächst aber sind sie orientierungslos. Neill treibt ein altes Jahrbuch auf, indem Keating Mitglied der "Dead Poets Society" aufgeführt wird, eine Vereinigung von Schülern, die sich nachts Literatur vorgelesen haben, die großen amerikanischen Dichter, aber auch eigene Verse. Neill überredet die anderen, mitzumachen. Keating läßt sich nur noch als "O Käptn, mein Käptn", dem Titel eines Gedichtes von Walt Whitman ansprechen.
In der Nacht gehts los. In weite Mäntel eingehüllt laufen die Jungs zu einer Höhle im Wald, zu einem anderen Ort, in eine andere Zeit, in eine andere Realität hinein. Ihr Erwachen beginnt. Inspiriert von den großen amerikanischen Dichtern, entwickeln sie eigene Rituale, zelebrieren sie einen anderen Lebensrhythmus, stoßen vor zu eigenen Mythen,formulieren eigene Interessen. Knox umwirbt ein angebetetes Mädchen, Neill findet zur Schauspielerei, Charlie beginnt auf dem Saxophon free jazz zu spielen und lädt Mädchen in die Höhle ein. Keating setzt derweil im Unterricht ihre Erziehung zum selbstständigen Denken konsequent fort. Sogar der schüchterne und sensible Todd wird von ihm dazu gebracht, sich in Versen zu artikulieren.
Schön! Etwas pathetisch vielleicht... Damit begann es in meinem Magen zu grummeln."Vorsicht vor Konformität", "Finde Dich selbst", "Bleib Dir selber treu", "Liebe sprengt alle gesellschaftlichen Grenzen"... kannte ich das nicht sattsam aus wenig vertrauenerweckenden Zusammenhängen? Älter werden hat auch seine Vorteile: man lernt seine Pappenheimer kennen. Von Musik befeuert, hatte natürlich auch ich als siebzehnjähriger geglaubt, das Leben neu erfinden zu müssen. Erst nachdem ich gemerkt hatte, daß mir in Form von beliebigen Bands und Jugendkulturen zum x-ten Mal in leichten Variationen der Aufguß eben dieser Sprüche verhökert worden war, wurde ich mißtrauisch. Hatte mir die Musikindustrie nicht genau das beinahe ein Jahrzehnt lang vorgebetet und sich damit dumm und dusselig verdient? Und hatte sich genau dieses eingängige Lebensgefühl in der sperrigen Realität nicht als untauglich erwiesen? Könnte schon sein. Hört sich jedenfalls plausibel an. Oder?
Eines Tages veröffentlicht Charlie in der Schülerzeitung einen Artikel, in dem er im Namen des Clubs fordert, Mädchen in die Schule aufzunehmen. Nicht nur das: Als die versammelte Schülerschaft deswegen zur Rede gestellt wir, führt er ein fingiertes Telefongespräch mit Gott, der ihm in seinen Forderungen Recht gibt. Die Schulleitung reagiert auf diesen antiautoritären Spaß erwartungsgemäß humorlos. Charlie bezieht Prügel mit einem Rohrstock und wird dazu aufgefordert alle Mitglieder des Clubs der toten Dichter preiszugeben, ansonsten drohe der Schulverweis.
Währenddessen hat Neill die Hauptrolle in einem Theaterstück ergattert. Um dem Widerstand seines Vaters zu entgehen, fälscht er seine Erlaubnis, um die Rolle spielen zu dürfen. Der Schwindel fliegt auf und der Vater erscheint während der Premiere des Theaterstücks. Neill bringt nicht die Courage auf, seinem Vater zu widersprechen, als der ihm ankündigt, ihn auf eine Militärschule zu schicken. Das Drama nimmt seinen Lauf. Der maßlos Enttäuschte bringt sich mit der Pistole des Vaters um.Der Vorhang fällt.
Die darauf einsetzende Untersuchung nimmt inquisitorische Züge an. Die Schüler müssen per Unterschrift beglaubigen, von Keating verführt worden zu sein. Sie beugen sich dem Druck der Schule und ihrer besorgten Eltern. Keating wird entlassen. Doch in einer wunderbar pathetischen Schlußszene steigen die meisten Schüler bei seinem letzen Besuch auf die Tische und bekennen sich noch einmal zu ihrem scheidenden Lehrer. Sein Einsatz war nicht umsonst, seine Aufforderung zum freien Denken ist in den Köpfen angekommen.
(...)
Mein Käptn gibt nicht Antwort, seine Lippen sind bleich und still
Mein Vater fühlt nicht meinen Arm, hat nicht mehr Kraft noch Willen,
Das Schiff liegt heil vor Anker nun, die Reise ist nun aus,
Von schwerer Fahrt das Siegerschiff kam im Triumph nach Haus
Jauchzt, Ihr Gestade! Glocken dröhnt!
Ich aber knie in Not,
Wo auf dem Deck mein Käptn liegt,
Gefallen, kalt und tot.
(zitiert nach Walt Whitmann, Grashalme, S.343
dt. Übersetzung von G. Landauer)
Jetzt, vor dem Hintergrund einer autoritären Tradition, die mit Kanonen auf Spatzen schießt, beginnt sich der Zauber des mentalen Aufbruchs im Medium poetischer Sprache zu entfalten und plausibel zu werden. Denn Keating hatte die Schüler keineswegs dazu aufgefordert, die Schule oder den Unterricht offen in Frage zu stellen. Erst die letztlich mimosenhafte Reaktion der Autorität, nicht verstandene Fragen mit überzogenen Sanktionen zu beantworten, ist das Movens für die folgende Entwicklung und gibt den geistigen Befreiungsversuchen der Schüler die Romantik, die der kommerziellen Ausbeutung jugendlicher Sinn- und Identitätssuche durch die dafür konfektionierten Angebote der Unterhaltungsindustrie längst wieder abhanden gekommen ist.
Schlägt man den Bogen zum Erscheinungsjahr des Films (1989), dann ist die historische Paralelle leicht zu fassen. Es werden die gleichen Schüler sein, die einige Jahre später als Studenten in Berkley, inspiriert von Musik, Literatur, bildender Kunst und Drogen eine Revolte lostreten werden, die die Welt, vor allem sie selbst, verändern wird. Zielgerichtet und mit der notwendigen Portion Engstirnigkeit werden schon längst hinfällige Tradionen angegriffen, die Lügen der vorherigen Generationen gelüftet und ausgelacht. Jugendkulturen entstehen.
Auch in Deutschland gibt es Ende der sechziger Jahre eine "Studentenrevolution", in deren Folge sich unzählige Gruppen formieren, die mit dem festen Willen zur Veränderung den "Marsch durch die Institutionen" (eine Formulierung des beindruckenden Rudi Dutschke) beginnen. "Die Grünen", bei ihrer Gründung noch ein Sammlung gesellschaftlicher Randgruppen, gingen den Schritt ins Parlament. Dabei tat sich sicher einen Menge, zur Veränderung hat es gereicht, zur damals erhofften Revolution nicht. Die autoritäre Tradition wurde erfolgreich beseitigt, die Demokratisierung vorangetrieben, die freie Meinungsäußerung eine Normalität. Alles tuffi also?
Sicher war das Leben in den neunziger Jahren selbstbestimmter als in den fünfzigern. Dennoch werde ich in der Rückschau den Eindruck nicht los, daß sich damals ein nicht mehr so leicht erkennbarer, aber ebenso straffer Wertekanon etabliert hatte. Anstelle des Zwangs sich in das Korsett einer autoritären Tradition einschnüren zu lassen, war der biographische Druck getreten, der immer präsente Zwang einen ordentlichen Lebenslauf vorweisen zu können, der in jedem Vorstellungsgespräch anhand eines detaillierten Dossiers nachgewiesen werden musste. Ansonsten drohte die Arbeitslosigkeit nebst dem Befund, sein Leben nicht "im Griff zu haben".
In den Vordergrund für die Meisten rückte es damit, einen auskömmlichen Beruf zu finden, das von Keating geforderte individuell Passende zur Richtschnur beruflicher Entscheidungen zu erklären, konnte schnell zum Risiko werden, wenn es in eine brotlose Zukunft führte. Biographische Kohärenz, Disziplin, Leistung, Effizienz, wirtschaftlicher Erfolg: dieser neue Wertekanon griff immer schärfer ins Leben des Einzelnen ein. Könnte aus dieser Perspektive das Pathos des Films nicht sogar gut reflektiert sein?
Das beurteilen zu wollen hiesse aber, das Genre der Filmrezension zu verlassen.Machen wir hier also einen vorläufigen Punkt. Der "Club der toten Dichter" ist ein sehr schöner, etwas pathetischer, gut inszenierter Film, der in Form eines Dramas noch einmal das Erwachen einer ganzen Generation beschwört, ohne die Gefahren der Nonkonformität zu verschweigen. Die Schauspieler haben mir durch die Bank gut gefallen, besonders Robin Williams gab hier einer seiner frühen Glanzvorstellungen, die ihn zum Star werden liessen. Freiheit aushalten. Ich könnte mir vorstellen, der Film nimmt junge Leute auch heute noch gefangen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen