Der linkspragmatische Rechtsabbieger. Harald Schmidts letztes Bühnenprogramm vor seinem Wechsel zur Late-Night-Show.
"Die erträglicheren sind verhinderte Künstler, die noch erträglicheren sind verhinderte Lehrer, die unerträglichen verhinderte Heilige. Keine von Ihnen hat wenigstens eines jener Fächer studiert, dessen Kenntnis ihn dazu befähigen würde, wenigstens etwas von dem zu begreifen, was läuft Jura, Volkswirtschaft, meinetwegen auch Atomphysik-, fast alle stammen sie aus dem trüben Bodensatz der Geisteswissenschaften, der Kunstakademien oder der Schauspielschulen. Wie kommen die eigentlich dazu, dieser Zeit, deren Gesetze und Spielregeln sie nicht kennen geschweige denn durchschauen können, die Leviten zu lesen?"
Schon 1984 zeigte sich ein Großmeister deutscher Satire, Robert Gernhardt in seinem ernst gemeinten Essay "Warum ich nicht gern Satiriker bin und mich nur ungern als solchen bezeichnet sehe" (Robert Gernhardt: Letzte Ölung. Zürich 1984, S.438-451), den zeitgenössischen Satirikern gegenüber ausgesprochen kritisch. Gernhardt, selbst ausgebildeter Maler und Literaturwissenschaftler, geht mit dem eigenen Berufsstand hart ins Gericht. Dabei scheint mir die Antwort auf seine Frage gar nicht so schwierig zu sein. Denn das die Satire sich im Hochofen der nationalsozialistischen Diktatur politisierte und zu einem Stück Widerstand wider der Hörigkeit gegenüber staatsautoritären Anschauungen aushärtete, kann kaum überraschen, dass diese Anschauungen auch in den achtziger Jahren noch auf fruchtbaren Boden fielen und das Kabarett damit Zuschauer hatte, auch nicht.
Der satirische Fernsehentertainer Harald Schmidt ist immer noch bekannt, auch wenn er momentan nur noch über Interviews in der Öffentlichkeit auftaucht. 1957 in Neu-Ulm geboren und im schwäbischen Nürtingen aufgewachsen, lässt er sich er sich in Stuttgart zum Schauspieler ausbilden, bestreitet nebenbei bereits Auftritte auf kleineren Bühnen und in Bierzelten, wird 1984 vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen engagiert, damals zusammen mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft und den Berliner Stachelschweinen die Topadresse, was Kabarett angeht. Dort setzt er sich nicht nur als Darsteller, sondern schließlich auch als Autor durch und startet auf dieser Grundlage eine Fernsehkarriere, wie sie erfolgreicher kaum hätte verlaufen können. Ab 1990 gestaltet und moderiert er unter anderem die damals innovative Fernsehverarschung "Schmidteinander" - zusammen mit Herbert Feuerstein - und wird zum Star. Nach einigen Jahren wird die Sendung in die ARD gehievt und ist auch dort ein Erfolg.1995 verlässt Schmidt Knall auf Fall den öffentlich-rechtlichen Sender, um noch im selben Jahr auf SAT1 viermal in der Woche seine Adaption der amerikanischen Late-Night-Show "Letterman" zu präsentieren. Nach zähen Anfangsjahren gestaltet er die Sendung nach eigenem Gusto und wird zum Liebling von Publikum und Feuilleton. Ende 2003 wirft er auch bei SAT1 die Brocken hin und legt ein Jahr Pause ein. Danach kehrt er mit dem gleichen Sendekonzept zunächst in der ARD, später auch auf anderen Kanälen auf den Bildschirm zurück. Die Qualität dieser Jahre wird die Sendung aber nicht mehr erreichen.
Mit dem Programm "Schmidtgift" kehrte der damals gerade 37jährige noch einmal auf die bundesdeutschen Kabarettbühnen zurück. In der ARD war sein letztes Projekt die Sendung "Verstehen Sie Spaß?" gewesen, deren ritualisierte Lachmechanismen er so lange durch den satirischen Wolf gedreht hatte, bis er nach sinkender Einschaltquote abgesetzt worden war. Mit diesem Flop polarisiert er das Publikum endgültig; der überwiegenden Ablehnung stand eine kleine Fangemeinde gegenüber, die seine Dreistigkeit gegenüber eingeschliffenen Unterhaltungsgewohnheiten goutierte. "Wenn Sie mal in Hof vor 5000 Leuten gestanden haben, die Sie alle hassen: da geht das Handwerk erst richtig los" - bilanziert Schmidt später in einem Interview.
Obwohl sein Bemühen, einer Unterhaltungssendung durch satirisches Unterlaufen ihres ausgelutschten Konzepts neues Leben einzuhauchen, gründlich fehlgeschlagen war, bleibt Schmidt seiner Linie treu. Wer glaubt, in "Schmidtgift" einen umfassend informierten Zeitdiagnostiker, einen Erfüllungsgehilfen der vorgeschriebenen Rolle "Kabarettist", vorzufinden, der wird mit knüppeldicker Ironie erst vorgeführt und dann eines Besseren belehrt. "Der Filmfachausdruck des Jahres ist Screwball-Comedy. Ich sage diesen Satz schon seit vier Jahren und jedes Jahr wird dieser Satz richtiger. (belehrend) Der Filmfachausdruck des Jahres ist Screwball-Comedy." Schmidt tritt seinem Publikum gegenüber so arrogant und blasiert auf, dass man ihm im richtigen Leben nicht eine Minute würde zuhören wollen. Und ein Vorbild ist seine Kunstfigur schon gar nicht: „Sehr gerne sehe ich Tennis; Monica Seles gegen Jennifer Capriati, die eine stöhnt, die andere beugt sich vor bis zur Bewusstlosigkeit, was einem da so durch den Kopf geht, das kostet mindestens 3 Jahre ohne Bewährung." Dabei wird das Nummernkabarett alter Prägung beinahe aufgelöst. Eher schon kann man Schmidts Show als von einigen durchgehenden Nummern durchbrochenes Stand-up-Kabarett beschreiben, der One-liner dominiert, wird aber für den satirischen Zweck eingesetzt, etwa wenn es gilt, sich über die Folgen der political correctness lustig zu machen."Frauenparkplätze sind ja was unheimlich sinnvolles - man ist ja als Triebtäter jahrelang orientierungslos durchs Parkhaus geirrt."
Ein satirischer Rundumschlag also gegen sämtliche dem Kabarett heiligen Konventionen und seinen tradierten Inhalten. Alles wird aufs Korn genommen, Wissenschaftsgläubigkeit, Bildungsbürgertum, die Ausstellung eigener Intellektualität - die routinierte Wiederholung eines in die Jahre gekommenen Bildungs- Verhaltens- und Moralkanons, der außerhalb des Kabaretts bereits nicht mehr verbindlich ist. Das Publikum bleibt als Zielscheibe dabei nicht außen vor: "..(er spielt klassische Klavierstücke und redet beiläufig über die Komponisten) ...Beethoven selbst war ja so taub, er glaubte ja ein Leben lang er malt (das Publikum lacht, er gibt dick aufgetragen den beleidigten Intellektuellen) "das ist so bitter, ja, das sowas ankommt, das sind so, wo ich sonst auftrete, auf Parkplätzen oder in Zelten, sind das so Rettungsanker, die man so reinwirft, wenn gar nichts mehr geht, aber hier, heute abend..."
Zur Hochform läuft Schmidt in einer der wenigen durchgehenden Nummern, "Claudette", auf. Schmidt fährt, angeblich von den Zuständen deutscher Politik gefoltert, zur Erholung nach Frankreich, lernt dort die titelgebende Claudette kennen und verlebt "wundervolle Tage im Klischee" "Plötzlich, und weil es meiner kleinen Geschichte auch dramaturgisch guttut, hatten wir keinen Hunger mehr. Wir standen auf und gingen nach oben aufs Zimmer. Es war eines jener typischen, winzigen, versteckt liegenden Landgasthofzimmern, in denen nur wirklich Liebende genügend Platz haben und in denen Bettwäsche und Handtücher unzählige Geschichten aus längst vergangenen Tagen zu erzählen wissen." Mit welchem Timing und welchem Können in solchen Passagen das Selbstverständnis linksliberaler Bürgerlichkeit veralbert wird: sich das anzuhören, kann ich guten Gewissens immer noch empfehlen. Etwas zeithistorisches Interesse braucht es aber schon.
Robert Gernhardt hatte den Lesern der Satire unterstellt, dass "die alle nicht denken, stutzen, lachen oder sich wenigstens an ästhetisch gelungenen Lösungen freuen, sondern glauben wollen. Daß die noch den schwächsten satirischen Dreh gutheißen, wenn er nur ihre felsenfeste Meinung noch ein bißchen untermauert. Daß sie gerne einer Gemeinde angehören würden, der Gemeinde der Unangepaßten zwar, aber doch bittesehr einer mit klarer Satzung, klaren Glaubensartikeln,klaren Emblemen. Und daß die ausgerechnet vom Satiriker erwarten, daß der ihnen alles frei Haus liefert, in Texten oder Bildern, denen nach Möglichkeit jede gedankliche Zweideutigkeit fehlen sollte - als ob es nicht genügend Buttons, Aufkleber, Parteiprogramme und Heilige Schriften gäbe, die solche Wünsche viel besser erfüllen.". In der Rückschau umso erstaunlicher, welche Wirkung Schmidt bei seinem Publikum, dass, wenn wir ihm mit Gernhardt glauben wollen, hier gleichzeitig Zielscheibe seines Spotts ist, zu erzielen versteht. Und darum scheint es ihm am Ende, als er das fiktive "Laienkabarett Palmwedel" mit den Worten vorstellt, es hätte "beim diesjährigen Open-Air-Festival für engagierten Dilettantismus den Goldenen Zeigefinger gewonnen", nicht gegen Satire und Kabarett an sich, sondern um die satirische Erledigung eines Kunstbetriebs zu gehen, der das erkenntnisfördernde Aufdecken von Widersprüchen durch genaue Beobachtung gegenüber einer überlieferten Moral aufgegeben hat. Das Kabarett damaliger Prägung wird gewissermassen von innen dekonstruiert. Das ist auch heute noch schlüssig und mit etwas Abstand immer noch hörenswert.
Mehr aber auch nicht. Unterhalten habe ich mich nur noch mäßig. Natürlich hat auch eine gelungene Momentaufnahme aus den fernen neunziger Jahren mittlerweile Patina angesetzt. Die neunziger Jahre wirken aus heutiger Perspektive fast unbeschwert. Die Zeiten sind wieder ernster geworden.
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