Am Nachmittag. Eine (sehr) kurze Horrorgeschichte.

Noch ist er einige Sekunden eingeschlossen in den Zwischenbereich aus Traum und Wirklichkeit, ehe sich der Geist, ohne dass er etwas tun müßte, formiert. Dabei sind es doch die friedlichsten Minuten am Morgen, im Bett liegen, die Welt dreht sich bereits wieder; jedoch noch ohne mich, denkt er. Bleiben wir also noch etwas liegen, mit geschlossenen Augen. Der Körper ist angenehm schwer, der Kopf liegt bequem, nur auf den Unterarmen ist ein leichter Druck. Aber die Helligkeit dringt durch die geschlossenen Augen in die Pupille ein und kitzelt das Bewußtsein wach. Das Zeichen, um aufzustehen, denkt er und kratzt sich am Kopf. Der Kopf fällt nach vorne. Das hat er doch vorher noch nie gemacht, denkt er und wundert sich über den leichten Schmerz auf seiner Stirn.Hatte er gestern getrunken?

Es dauert ein Weilchen. Zuerst fließt nur der Strom unzusammenhängender Einzelheiten durch seinen Kopf hindurch.Sie verbinden sich mit keinem Wort, keinem Konzept. Stücke der geborstenen Windschutzscheibe auf dem Armaturenbrett, (die tanzenden Lichter bringen ihn dazu, wieder nach vorne zu blicken), eine Wolke wie ein kleiner Amboß am hohen blauen Himmel, und, als sich sein Blick wieder auf seine unmittelbare Umgebung fokussiert das gesplitterte, in die Windschutzscheibe hinein gebohrte Holz, das Steuer, seine Arme. Die Enge. Der dumpfe Schmerz in seinem geschundenen Oberkörper. Dort, wo der Gurt sitzt, brennt es jetzt höllisch. Abschnallen und sich zurück lehnen sind eins. Die Beine bewegen sich nicht mit. Sirenen zermahlen die bisher festsitzende Stille.

Zermahlene Stille, zermahlene Tage. Hatte es einen Anlass gegeben? Brauchte es noch einen Anlaß? Nachdem er sich gefunden hatte, war er vor lauter Freude unaufmerksam gewesen, war ihm das Gefährt seines Lebens Stück für Stück wieder aus den Händen geglitten. Als wenn ein böser Kobold wie eine Spinne in ihrem Netz im toten Winkel gesessen hätte und das Steuer immer wieder die entscheidende Kleinigkeit zu weit gedreht, minutiös dafür gesorgt hätte, dass zur falschen Zeit das falsche passierte. Die beruflichen Zumutungen, mit denen alle zu kämpfen haben. Die Krankheiten, die auch tausend andere bewältigen müssen. Fast bewunderte er die perfekte Art, mit der er eingesponnen worden war in das Netz aus falschen Freunden, schlechten Gewohnheiten, schädlichen Bewältigungsmechanismen. Als er es bemerkt hatte, war es schon zu spät gewesen. Jeder Versuch auszubrechen, hatte ihn nur fester gebunden. Wie weit weg von seinen ursprünglichen Plänen er war! Traumwandlerisch hatte er – war es wirklich er gewesen? - an der Kreuzung Gas gegeben. Alles passiert einfach, dachte er, Untote treffen keine Entscheidungen mehr.

Bleiben Sie ganz ruhig, sagt der Helfer mit dem Brecheisen.Ich bin ganz ruhig, denkt er und dreht den Kopf. Er schafft nur wenige Zentimeter.Auf der Bahre fällt ihm auf, wie hell der Tag ist. Die Helfer nimmt er nur als Schatten wahr. Jetzt würden Sie ihn wahrscheinlich ins Hildegardis-Krankenhaus bringen, vor dem er beinahe direkt lag. Dort würde er wieder ein Einzelzimmer haben, wie damals, bei der Augenoperation.Die Pause würde ihm gut tun. Er würde jeden Tag durch das beschauliche Lindenthal laufen. Und sich für die richtigen Dinge die Zeit nehmen. Beim nächsten Mal würde alles anders, ganz anders laufen, denkt er noch. Der Sanitäter schüttelt den Kopf.

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