Alles wieder auf Anfang. "Der Untergang der Stadt Passau" ist leichtgängige Science-Fiction mit Tiefgang und Wiedererkennungswert

Wie alles in den siebziger Jahren aufhört, wird nur angedeutet. Lois Retzer, einer der Protagonisten, sieht am Münchner Hauptbahnhof einen „Rentner, der plötzlich kicherte, aufstand, zur Tür des haltenden Zuges am Bahnhof Stachus ging und auf die Plattform kippte.“

Auch alles andere, das Verschwinden der beinahe gesamten Menschheit, das Überleben der übrig Gebliebenen aus den Vorräten der Supermärkten, die Bildung marodierender Banden, schließlich die Zusammenrottung einzelner Gruppen mit unterschiedlichen Konzepten: das alles bekommen wir nur in Nebensätzen oder in den eingestreuten Biographien der Hauptpersonen mit. Lois, pragmatischer Apothekerssohn und ehemaliger linker Intellektueller – er wollte sogar einen „Grundriß des ökologischen Materialismus“ zu Papier bringen - hat es zu den Resten der Rosenheimer Bevölkerung verschlagen, eine demokratische Gruppe, die mit Jagen, Sammeln und einfacher Landwirtschaft ihr Überleben sichert.

Die Geschichte beginnt ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe, als Lois mit seinem Ziehsohn Marte in Passau eintrifft. „Der Scheff“, nichts anderes als der postapokalyptische Fürst von Passau, hat zwecks Zusammenarbeit geladen. Ihm schwebt eine mittelalterliche Ordnung vor, die bereits von der Passauer Bevölkerung zelebriert wird - wie Marte, bäuerlich, unerfahren aber lernfähig auf der Feier nach dem verschwenderisch ausgestatteten Empfang für die Gesandten zu Gesicht bekommt. „Wenn man genau hinsah, sah man Teilungen und sah man Privileg das ausgeübt wurde. Wie lässig ging doch Hasso [der siebzehnjährige Sohn des Scheffs] mit der Spitze des Dolches, den er spielerisch gezogen hatte, durch den Stapel der Plattenhüllen! Wie freuten sich die Augen des Spezialisten hinter dem Buchholzgrill, als Hasso in das Schulterstück eines Spanferkels biss (…) und dazu anerkennend nickte!“

Lois aber steht der ungebetenen Einladung von Anfang an mißtrauisch gegenüber und gibt sich zur Tarnung als dumm staunender „Bauernfünfer“. Aus dieser Position beobachtet er den Umgang mit den in Jahren angehäuften (ehemaligen) Reichtümern, dem durch Turbinen wieder gewonnenen Strom, der mittelalterlich anmutenden Hierarchien, das hochgerüstete Militär und versucht durch neugierige Fragen und Gesprächen mit allen möglichen Leuten herauszubringen, was die Passauer wirklich von ihm, von den Rosenheimern wollen. Ein unter der Hand geführter, diplomatischer Kampf entbrennt, hier der gewitzte Vertreter der Rosenheimer, der bald die Gefahren in der großzügig angebotenen Zusammenarbeit wittert, dort die arrogante, gleichwohl hellhörige Passauer Führungsschicht, die schnell zu ahnen beginnt, dass hinter der Fassade des Dummkopfs ein hellsichtiger Taktiker agiert.

Wie dieser Besuch endet, empfehle ich jedem selbst zu lesen, denn der „Untergang der Stadt Passau“ ist spannend zu lesen und dicht erzählt. Dass hinter diesem leicht lesbarem Genreprodukt ein kluger Kopf steckt, merkte ich spätestens anhand der eingestreuten fiktiven Chroniken in mittelalterlichen Lettern, die Carl Amery, der Autor, immer wieder einstreut. Dort wird der lange währende Kampf zwischen Passau und Rosenheim in Form einer Chronik weitererzählt. Und wer regelmäßig Zeitung liest, wird im Kleinen das Große, die falsch erzählte Geschichte, den Kampf um Rohstoffe, den Kolonialismus, die immer währenden Kämpfe um die gleichen Dinge zwischen der Zivilisation und den „Anderen“ wiedererkennen. Die Geschichte geht also weiter.

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