Gescheit gescheitert: Helge Scheider und das dröge-sperrig-lustige Leben
Teddy Schu (Helge Schneider) steht nach unruhiger Nacht senkrecht im Bett. Es ist 4 Uhr morgens. Der Wecker schnarrt. Müdigkeit hin oder her, er muss aufstehen und Zeitungen austragen. Ganz pünktlich schafft er es nicht zur Übergabe. Gleichgültig wirft ihm der Auslieferer die Zeitungspacken in den strömenden Regen. Teddy sammelt den ganzen "Klumpatsch" auf und bedient seine Briefkästen.Danach gehts zum nächsten Job. Teddy schleppt schwere Kisten, um einen Verkaufswagen bereit zu machen für den Tag. Den ganzen Tag bringt er dann Fisch an den Mann, an die Ruhrpottbevölkerung. Dabei legt er eine servile Verkaufsmentalität an den Tag. In der Mittagspause trifft er seine Freunde (Pete York und Jimmy Woody), mit denen er seiner eigentlichen Berufung nachgeht: Musik.
Erst aber will noch ein Job erledigt werden. Teddy wirft sich in einen Blazer, zieht eine Sonnenbrille an und verwandelt sich in "Rodriguez Faszanatas von der Agentur Señora Fuck". Alles andere als ein feuriger Gigolo, beglückt er eine Hausfrau. Für 200 Euro.
Jetzt noch einen Kurzbesuch in der eigenen Wohnung ("…muß schnell weg, die Freunde warten") und dann sitzt Teddy endlich da, wo er sitzen will. Auf dem Klavierhocker in einer Kneipe. Dort spielt er mit seinen Freunden erstklassigen Jazz. Ihm gegenüber sitzt der Besitzer des Jazzclubs und schaut zu, betrunken und gutmütig. (wie einst Count Basie Thelonious Monk) Geld kann er ihnen nicht bezahlen, denn die Musik lockt keine Gäste an. Im Gegenteil: über Jazz wird außerhalb der Band nur geschimpft. Der Nachbar wirft Blumentöpfe aus dem Fenster, um endlich seine Ruhe zu haben. Der einzige Kunde verlässt die Bar fluchtartig. Der Wirt hat von Jazz offenbar keine Ahnung, sogar der "Jazzclub" ist nur eine traurige Kneipe, kein Ort rotierenden Lebens, in dem munter improvisiert wird.
Andere Musiker, andere Jazzmusiker gibt es in Helge Schneiders Film "Jazzclub - Der frühe Vogel fängt den Wurm" aus dem Jahre 2004 nicht. Es gibt keine Auftraggeber, keine Agenten, keine anderen Lokalitäten, in denen man live spielen könnte und erst recht kein Publikum, kurz: keine Kulturlandschaft, in der ein professioneller Jazzmusiker seinen Beruf ausüben könnte. Teddy Schu gehört einer community an, die es schon längst nicht mehr gibt, ein Relikt aus vergangenen Tagen an weit entfernten Orten. Und offensichtlich ein naher Verwandter von Helge Schneider, allerdings mit einem wesentlich naiveren Gemüt als der Meister selbst ausgestattet. Denn Teddy rationalisiert zu keinem Zeitpunkt des Films, wie illusorisch sein Wunsch ist, ein Leben als Jazzmusiker zu führen. Er steht der veränderten Musikkulturlandschaft hilflos gegenüber. Ganz nebenbei muss er, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, bizarre Jobs übernehmen, die ihm keine Zeit mehr für die erträumte Profession lassen. Er sitzt in seiner Lebenssituation fest. Solange Teddy an seiner Berufung als Musiker festhält, wird sich nichts ändern. Selbstverwirklichung als Klotz am Bein. Stillstand, hektische Agonie, leben am Abgrund.
Mit dieser Lebenssituation ist Helge Schneider sicher bestens, exemplarisch für viele Künstler und Lebenskünstler, vertraut. Auch er arbeitete sich in den achtziger Jahren durch verschiedene Jobs, tingelte nebenbei mit seiner Band durch die Lande, lebte von der Hand in den Mund. (Man musste wirklich genau hinschauen,um zu bemerken, dass Schneiders Witz sehr reflektiert ist) Anfang der neunziger Jahre besuchte ich aus reinem Zufall einen von Schneiders Auftritten im Kölner Stadtgarten. Auch hier ein ähnliches Bild. Tatsächlich gab es auch einige stille Momente, als Schneider mit seiner Band einfach nur hörbar gekonnten Jazz spielte. Orgiastisches Gelächter aber erntete er mit dilettantisch vorgetragenen, sinnfreien Conferéncen, misslungenen Stepeinlagen und fünftklassiger Schlagermusik. Offensichtlich wurde dort die Situation reproduziert, mit Jazz das Publikum nicht unterhalten zu können und sich nun "spontan" etwas anderes ausdenken zu müssen. Eine damals irritierende, auch provozierende großartige Show.
Auf dem Ausspielen dieser Situation beruht Helge Schneiders Erfolg. Aus seinem Scheitern hat er eine artifizielle und sehr spezielle, innovative Art von Komik destilliert, die sein Publikum mit Begeisterung belacht und nicht zuletzt mit harter Währung quittiert. Selbst seinen partiell vorhandenen Zynismus gegenüber seinem Publikum inszenierte er jahrzehntelang ungeschminkt mit. (Erst später verwandelte er sich in den gutmütigen Clown heutiger Tage)
Von diesem Grundeinfall lebt auch der Film, der aber wesentlich melancholischer daherkommt als eine Bühnenshow von Helge Schneider. Denn für Teddy scheint die Situation ausweglos zu sein. Er ist, anders als sein Erfinder, nicht in der Lage, die Situation zu verstehen und andere Schlüsse zu ziehen. Für mich als Zuschauer blieb der Film blutleer und wenig unterhaltsam. Die fehlende Dramatisierung des Grundkonflikts (oder positiv formuliert: die entschiedene Inszenierung des Stillstands) gestaltet den Film zwar origineller, führt aber zu Langatmigkeit. Die wenigen wirklich komischen Momente - es gibt sie - können den Film nicht tragen. Natürlich, das hängt auch mit Schneiders Weigerung zusammen, etablierte Sehgewohnheiten zu bedienen. Anschauen kann dennoch nicht schaden. Dröge Komik, Scheitern als Kunst:darauf muss man erstmal kommen.
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