Perspektivwechsel ohne Perspektivwechsel: Ein Kommentar zur Sendung "Maybrit Illner" vom 2. März
"Je länger dieser Krieg dauert, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, desto lauter wird nach Verhandlungen gerufen", behauptete Maybrit Illner in der Anmoderation zum Einspielfilm ihrer Sendung am 2.März. Das klingt beinahe so, als hätte eine aufmerksame Redaktion der Gesellschaft buchstäblich ihre Echos abgelauscht. Der Einspielfilm offenbarte aber einen profaneren Grund, die Perspektive schneller Verhandlungen zu diskutieren, indem er unmittelbar Bezug nahm auf eine Friedenskundgebung, die Ende Februar in Berlin stattgefunden hatte.
"Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges?", fragten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in ihrer am 10. Februar veröffentlichten Petition "Manifest für den Frieden" , die für die Aufnahme sofortiger Friedensverhandlungen als Alternative zum Kurs der Bundesregierung votiert. Der Petition mit ihrer Aufforderung zu unterzeichnen folgte am 25. Februar die "Aufstand für den Frieden" betitelte Kundgebung , die von einer fünfstelligen Anzahl von Unterstützerinnen und Unterstützern besucht wurde.
Besonders Sahra Wagenknecht hatte sich in unzähligen Auftritten gegen den Regierungskurs ausgesprochen. Den Krieg Putins ausschließlich als imperialistischen Überfall zu bewerten sei zu kurz gegriffen, so die Bundestagsabgeordnete der Partei "Die Linke". Stattdessen sei der Krieg Folge und Teil eines bereits viel länger währenden geostrategischen Konflikts der westlichen Allianz und Russlands. "Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte", so Wagenknecht in einem Interview.
Wagenknechts alternative Erzählung des Konflikts behauptet, die westliche Allianz habe sich unter Unterlaufung langfristiger Vereinbarungen nach Osten ausgebreitet und damit legitime Sicherheitsinteressen Russlands verletzt. Als mit der Ukraine auch der letzte Mosaikstein aus der eigentlich vereinbarten Neutralität in die NATO umzufallen drohte, habe Putin gehandelt. Daher wäre der Krieg auch ein Stück weit der aggressiven westlichen Ausbreitungspolitik geschuldet, lautet der Vorwurf des Wagenknecht-Lagers und das, obwohl Putin immer wieder darauf hingewiesen hätte, dass der Westen damit rote Linien überschreite.
Deswegen wäre man mit Wirtschaftssanktionen gegen Russland und der aus ihr folgenden Energiepolitik auf dem falschen Weg. Denn die Prämisse, Russland sei von der deutschen Kaufkraft abhängig, sei falsch. Richtig sei vielmehr, dass die deutsche Industrie am Tropf billiger Energie hänge und durch den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland zu Grunde gerichtet werde. Die Waffenlieferungen an die Ukraine dagegen würden den Krieg nur weiter verlängern. Deswegen müsse die Regierung den Kurs so schnell wie möglich ändern. Stattdessen müssten schnellstmöglich Friedensverhandlungen aufgenommen werden, um keine Eskalation in einen Atomkrieg zu riskieren.
Eine Argumentation, die auf Seite der Koalition auf aggressiven Widerspruch traf. Alle diplomatischen Mittel seien ausgeschöpft worden, so die Argumentation der Gegenseite, man habe viel zu lange mit diplomatischen Mitteln agiert, wo man lange schon Putin die Grenzen hätte aufzeigen müssen. Der habe sich nämlich zu einem rückwärtsgewandten Imperialisten entwickelt, der nun nach viel zu langem Zögern aufgehalten werden müsse. Denn Putin wolle mittlerweile das alte sowjetrussische Reich wiederherstellen, er bedrohe Europa. Alle Grenzen sind schon lange überschritten. Die westliche Allianz müsse Putin aufhalten, Deswegen seien die Waffenlieferungen an die Ukraine sowie die Wirtschaftssanktionen unumgänglich, um Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen. Mit Diplomatie komme man hier nicht mehr weiter.
Seitdem ist eine hart geführte öffentliche Debatte entbrannt, die oft den Charakter einer persönlichen Auseinandersetzung annahm. Hier die Regierungsseite, die um keinen Preis von der eingängigen Vorstellung abrücken wollte, dass es nur einen Aggressor gäbe und auch nachgewiesen kompetente Beurteiler europäischer Belange versuchte mundtot zu machen (als Beispiel: die profilierte Europakennerin Ulrike Guerot in der Sendung "Markus Lanz"), dort die Verhandlungsbefürworter, die Verhandlungen allzu simpel als einfachen und machbaren Weg priesen, den Konflikt zu beenden und ein Scheitern von Verhandlungen nicht mal in Betracht zu ziehen schienen.
Rhetorisch in der Offensive blieb aber das Regierungslager, dass sich schließlich auch politisch durchsetzte. Die Verhandlungsbefürworter dagegen hatten in der öffentlichen Stimmung Schwierigkeiten sich von dem Vorwurf zu befreien, realitätsfremde Spinner jenseits der bürgerlichen Mitte zu sein, die den Expansionswillen Wladimir Putins sträflich unterschätzten.
Vor diesem Hintergrund erwiesen sich Petition und Kundgebung als gut durchdachtes Stück Öffentlichkeitsarbeit. Über 700.000 Menschen unterschrieben bisher das Manifest, 13.000 Teilnehmer hatte nach Angaben der Polizei die Berliner Kundgebung. Spätestens hier wurde klar: der Ruf nach sofortigen Verhandlungen hat in der breiten Öffentlichkeit viele Befürworter.
Sind Befürworter von sofortigen Friedensverhandlungen also wirklich naiv? Eigentlich eine gute Zeit, die reichlich emotionale Debatte einmal ruhig aufzuschlüsseln, indem man beide Haltungen in den Dialog bringt. Was sind die jeweiligen Grundideen, Erzählungen und Lösungsvorschläge? Eine gute Gelegenheit, die miteinander verhakten Kombattanten an einem Tisch in ein konstruktives Gespräch zusammen zu bringen. Irrt die Regierung tatsächlich konzeptionslos durch diesen Konflikt?
"Friedensverhandlungen jetzt - naiv oder notwendig?" titelte "Maybrit Illner" am 2. März eine Gesprächsrunde, die eine nach vielen Sendungen über den Krieg endlich einmal eine Friedensperspektive in den Blick nahm. An ihr nahmen teil:
Saskia Esken (SPD), Parteivorsitzende
Amira Mohammed Ali (Die Linke), Fraktionsvorsitzende
Marina Weisband (Bündnis 90/Die Grünen), Publizistin
Nicole Deitlhoff, Friedens- und Konfliktforscherin
Wolfgang Ischinger, ehemaliger Diplomat
Machen wir es kurz. Mit Amira Mohammed Ali war nur eine Unterzeichnerin des Manifests in der Runde und die sah sich vier gut vorbereiteten Befürwortern des Regierungskurses gegenüber. Nach gut 20 Minuten waren die Pflöcke eingeschlagen. Ich rekapituliere die Sendung der Einfachheit geschuldet deswegen in 4 Zitaten.
1)
Eigentlich war die Situation bei Ausbruch des Kriegs schon transparent, deswegen habe die Regierung schnell und folgerichtig gehandelt: "Olaf Scholz hat zwei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine [...] mit anderen Partnern eine Entscheidung herbeigeführt, dass schultergestütze Panzerabwehrwaffen geliefert werden" (Saskia Esken)
2)
Den Frieden wollen alle, die Befürworter sofortiger Verhandlungen haben sich nur wenig Gedanken darüber gemacht, wir er aussehen soll. Abgesehen davon schätzen sie den Verhandlungswillen Putins sträflich falsch ein: "Weniger bedacht wird [von den Autorinnen des Manifests] wie kann man denn zu Frieden kommen?[...]Wenn wir mit jemandem verhandeln wollen, dann brauchen wir auf der anderen Seite auch jemanden, der bereit ist das zu tun, den haben wir aber nicht." (Nicole Deitlhoff)
3)
Waffenlieferungen sind alternativlos, denn nur Verhandlungen innerhalb der richtigen Rahmenbedingungen versprechen Erfolg:"Was soll denn die Funktion von Verhandlungen sein? [...] Es ist die erste Voraussetzung dafür, das ernsthaft verhandelt wird, dass in Moskau die Einsicht entstanden ist, dass mit dem weiteren Einsatz militärischer Mittel Russland keine terretorialen oder sonstigen Vorteile mehr erreichen kann" (Wolfgang Ischinger)
4)
Wer Täter und wer Opfer in diesem Konflikt ist, steht fest.Die westliche Allianz ist unabhängiger Träger der gültigen internationalen Verhaltensmaßregeln. Langfristiger Frieden ist nur möglich, wenn der eindeutig identifizierte Aggressor sanktioniert wird. Alles andere ist offensichtlich kontraproduktiv:
"Nehmen wir an, ein Räuber überfällt einen Menschen auf hellichter Straße, klaut ihm die Handtasche und verprügelt ihn und dann kommt die Polizei und sagt 'Hör jetzt auf diesen Menschen zu verprügeln, dann bekommst Du auch die Hälfte des Inhalts der Handtasche und dann kannst Du gesichtswahrend gehen. Wie wahrscheinlich werden dann in Zukunft weitere Raubüberfälle?" (Marina Weisband)
Ich habe das Manifest nicht unterschrieben. Dennoch hat Frau Wagenknecht aus meiner Sicht an vielen Punkten gut argumentiert. Und ist Frau Weisbands Bild von der westlichen Allianz als "Polizisten", dessen einziges Interesse ist, ein eindeutiges Verbrechen zu verhindern und den Täter langfristig in die Schranken zu weisen, nicht offensichtlich eindimensonal? Ich möchte hier weder der einen noch der anderen Seite das Wort reden.
Diskutieren wäre aber besser gewesen. Eine Diskussion hätte aber erst dann entstehen können, wenn die Perspektive sofortiger Verhandlungen von ihren Befürwortern erstmal entwickelt hätte werden können, um danach beide Perspektiven in ein sinnvolles Gespräch zu bringen.
So aber war es eine vergeudete Stunde für mich als Zuschauer und, lassen wir politikstrategische Gründe an dieser Stelle mal außen vor, eine verpasste Gelegenheit für ein notwendiges Gespräch. Möglicherweise ist eine Talkshow nicht immer ein passendes Instrument für die Gestaltung der öffentlichen Debatte.
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