Startschuss für Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik in Ghana
"Anlässlich ihres Besuchs in Ghana geben Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil heute den Startschuss für diese Neuausrichtung mit einer gemeinsamen Erklärung mit dem ghanaischen Arbeitsminister. Kern der Vereinbarung ist der Ausbau des seit 2017 bestehenden ghanaisch-deutschen Migrationsberatungszentrums in Accra zu einem umfassenden 'Zentrum für Jobs, Migration und Entwicklung'. Das Zentrum in Accra ist Teil der größeren Leuchtturminitiative 'Zentren für Migration und Entwicklung', für die das Entwicklungsministerium (BMZ) 150 Millionen Euro über drei Jahre und derzeit neun Länder vorsieht. Weitere Zentren sind in Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Nigeria, Irak, Pakistan und Indonesien geplant." So steht es in der Pressemitteilung des Bundesarbeitsministeriums vom 21. Februar. Endlich der oft beschworene "Paradigmenwechsel"?
Der amerikanische Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn entwarf Mitte des letzten Jahrhunderts ein neues Verständnis dafür, wie der Prozeß wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung verlaufe. Bis zu diesem Zeitpunkt (und im uninteressierten Teil der Öffentlichkeit bis heute) sind Wissenschaftler Sammler von Fakten, die sie so lange verdichten, bis eine neue Theorie, ein neues Verständnis für ein Stückchen Welt vorliegt. Einen Wahrheitsanspruch hat Wissenschaft auch schon in diesem Verständnis nicht mehr. Den Anspruch auf die höchste Wahrscheinlichkeit verteidigt sie aber durch den Versuch, die geltende Theorie durch möglichst genaue Detailbeobachtungen zu widerlegen - den Wahrheitsanspruch hatte man ja schweren Herzens aufgeben müssen.
Kuhns Vorschlag dagegen behauptet: Die Sammlung von Fakten finde bereits auf der Basis einer metatheoretischen Leitlinie, eines grundsätzlichen Konsens der Wissenschaftsgemeinde statt. Die Paradigma genannte neue Plattform wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung entstehe durch einen sozialen Umschwung. Diese stillen Revolutionen vollzögen sich einerseits, weil viele Probleme nach einiger Zeit nicht mehr auf der Basis des herrschenden Paradigmas gelöst werden können andererseits, weil die nachwachsende Forschergeneration aus sich selbst einen neuen metatheoretischen Konsens kreiert.
Wenn die Pressemitteilung also Entwicklungsministerin Svenja Schulze mit den Worten zitiert: "Die Bundesregierung hat einen Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik beschlossen", dann ist Skepsis gegenüber dem Bild des Paradigmas angebracht. Denn Kuhn hatte ja lediglich und ohne normativen Anspruch Prozesse der Neuorientierung in den Wissenschaften beschrieben. Hier gibt es aber einen Beschluß der Bundesregierung. Immerhin wissen wir nun aber - und das meine ich nicht abwertend - wo der Paradigmenwechsel stattgefunden hat und die spannende Frage wird sein, welche gesellschaftlichen Player ihn mittragen und welche ihn attackieren werden.
Ich frage mich ohnehin, ob das Bekenntnis zu einer rationalen Migrationspolitik nicht an sich schon etwas Neues darstellt. Ich erinnere mich an frühere Debatten, die sich darum drehten, wie gut die Integration "ausländischer Mitbürger" gelungen sei - und wer an dem miserablen Ergebnis schuld ist. Eine Aussage darüber, ob die Integration insgesamt gelungen sei, blieb die Debatte, jedenfalls in meiner Erinnerung, oft schuldig. Der Wunsch dagegen, mehr und genauer zu selektieren, wer hierher kommen darf und wer nicht, blieb präsent. Die Pressemitteilung scheint diese Sichtweise zu bestätigen, denn bisher ging es anscheinend mehr darum, dem Herkunftsland unerwünschte Migranten nach Deutschland wieder schmackhaft zu machen:
"Das in der ghanaischen Hauptstadt Accra ansässige Migrationsberatungszentrum besteht bereits seit 2017 als ghanaisch-deutsche Kooperation. Bisher lag der Fokus auf der Reintegration von rückkehrenden Migrantinnen und Migranten und der Schaffung von Perspektiven vor Ort durch Unterstützung bei der Existenzgründung." Tim Szent-Ivanyi kommentiert denn auch in der "Gelnhäuser Neue Zeitung": "Jahrzehntelang erfüllte die deutsche Entwicklungspolitik auch eine Aufgabe, die selten offen ausgesprochen wurde: Die Verhinderung von Flucht und damit von Einwanderung. Deutschland hatte schließlich Mühe, die eigene Bevölkerung in Lohn und Brot zu bringen."
Das hat sich aufgrund des demographischen Wandels entscheidend geändert. Deutschland braucht in den nächste Jahren Millionen Fachkräfte, damit, sagen wir es doch hemdsärmelig, der Laden am Laufen bleibt und auch das bestätigt die Pressemitteilung, dieses Mal aber unmissverständlich, wenn sie Hubertus Heil zitiert: "Wir müssen alle Register im In- und Ausland ziehen, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen." Wenn wir also im Bild des Paradigmenwechsels bleiben, dann vollzieht er sich von der Rückführung unerwünschter Immigranten zur Akquisition von Fachkräften.
Soweit ich die Dinge überblicke, ist das aber eine notwendige und gute Entwicklung. Ein letzter Punkt bliebe aber zunächst noch zu erwähnen. Jedes Paradigma trägt schon sein eigenes Scheitern in sich. Wo könnten also die Fallstricke für die Fachkräfteakquisition lauern? Ein Punkt ist sicher, dass wir es uns offensichtlich in der öffentlichen Diskussion schwer getan haben mit der Einwanderung und den Einwanderern. Ich weiß auch nicht, wie die Afrikaner auf unseren Sinneswandel reagieren werden. Die internationalen Gewichtungen verschieben sich. Auch hier.
Der amerikanische Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn entwarf Mitte des letzten Jahrhunderts ein neues Verständnis dafür, wie der Prozeß wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung verlaufe. Bis zu diesem Zeitpunkt (und im uninteressierten Teil der Öffentlichkeit bis heute) sind Wissenschaftler Sammler von Fakten, die sie so lange verdichten, bis eine neue Theorie, ein neues Verständnis für ein Stückchen Welt vorliegt. Einen Wahrheitsanspruch hat Wissenschaft auch schon in diesem Verständnis nicht mehr. Den Anspruch auf die höchste Wahrscheinlichkeit verteidigt sie aber durch den Versuch, die geltende Theorie durch möglichst genaue Detailbeobachtungen zu widerlegen - den Wahrheitsanspruch hatte man ja schweren Herzens aufgeben müssen.
Kuhns Vorschlag dagegen behauptet: Die Sammlung von Fakten finde bereits auf der Basis einer metatheoretischen Leitlinie, eines grundsätzlichen Konsens der Wissenschaftsgemeinde statt. Die Paradigma genannte neue Plattform wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung entstehe durch einen sozialen Umschwung. Diese stillen Revolutionen vollzögen sich einerseits, weil viele Probleme nach einiger Zeit nicht mehr auf der Basis des herrschenden Paradigmas gelöst werden können andererseits, weil die nachwachsende Forschergeneration aus sich selbst einen neuen metatheoretischen Konsens kreiert.
Wenn die Pressemitteilung also Entwicklungsministerin Svenja Schulze mit den Worten zitiert: "Die Bundesregierung hat einen Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik beschlossen", dann ist Skepsis gegenüber dem Bild des Paradigmas angebracht. Denn Kuhn hatte ja lediglich und ohne normativen Anspruch Prozesse der Neuorientierung in den Wissenschaften beschrieben. Hier gibt es aber einen Beschluß der Bundesregierung. Immerhin wissen wir nun aber - und das meine ich nicht abwertend - wo der Paradigmenwechsel stattgefunden hat und die spannende Frage wird sein, welche gesellschaftlichen Player ihn mittragen und welche ihn attackieren werden.
Ich frage mich ohnehin, ob das Bekenntnis zu einer rationalen Migrationspolitik nicht an sich schon etwas Neues darstellt. Ich erinnere mich an frühere Debatten, die sich darum drehten, wie gut die Integration "ausländischer Mitbürger" gelungen sei - und wer an dem miserablen Ergebnis schuld ist. Eine Aussage darüber, ob die Integration insgesamt gelungen sei, blieb die Debatte, jedenfalls in meiner Erinnerung, oft schuldig. Der Wunsch dagegen, mehr und genauer zu selektieren, wer hierher kommen darf und wer nicht, blieb präsent. Die Pressemitteilung scheint diese Sichtweise zu bestätigen, denn bisher ging es anscheinend mehr darum, dem Herkunftsland unerwünschte Migranten nach Deutschland wieder schmackhaft zu machen:
"Das in der ghanaischen Hauptstadt Accra ansässige Migrationsberatungszentrum besteht bereits seit 2017 als ghanaisch-deutsche Kooperation. Bisher lag der Fokus auf der Reintegration von rückkehrenden Migrantinnen und Migranten und der Schaffung von Perspektiven vor Ort durch Unterstützung bei der Existenzgründung." Tim Szent-Ivanyi kommentiert denn auch in der "Gelnhäuser Neue Zeitung": "Jahrzehntelang erfüllte die deutsche Entwicklungspolitik auch eine Aufgabe, die selten offen ausgesprochen wurde: Die Verhinderung von Flucht und damit von Einwanderung. Deutschland hatte schließlich Mühe, die eigene Bevölkerung in Lohn und Brot zu bringen."
Das hat sich aufgrund des demographischen Wandels entscheidend geändert. Deutschland braucht in den nächste Jahren Millionen Fachkräfte, damit, sagen wir es doch hemdsärmelig, der Laden am Laufen bleibt und auch das bestätigt die Pressemitteilung, dieses Mal aber unmissverständlich, wenn sie Hubertus Heil zitiert: "Wir müssen alle Register im In- und Ausland ziehen, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen." Wenn wir also im Bild des Paradigmenwechsels bleiben, dann vollzieht er sich von der Rückführung unerwünschter Immigranten zur Akquisition von Fachkräften.
Soweit ich die Dinge überblicke, ist das aber eine notwendige und gute Entwicklung. Ein letzter Punkt bliebe aber zunächst noch zu erwähnen. Jedes Paradigma trägt schon sein eigenes Scheitern in sich. Wo könnten also die Fallstricke für die Fachkräfteakquisition lauern? Ein Punkt ist sicher, dass wir es uns offensichtlich in der öffentlichen Diskussion schwer getan haben mit der Einwanderung und den Einwanderern. Ich weiß auch nicht, wie die Afrikaner auf unseren Sinneswandel reagieren werden. Die internationalen Gewichtungen verschieben sich. Auch hier.
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